Wenn du bei Achtsamkeit an meditierende Mönche denkst, liegst du einerseits richtig – und andererseits falsch.
Um achtsam zu sein und Achtsamkeit dir und anderen gegenüber zu praktizieren, braucht es kein Meditationskissen, keine Stille, keine Askese.
Wer achtsam ist, verbringt Zeit in der Gegenwart, im aktuellen Moment. Bewusst Achtsamkeit zu üben, heißt, die Dinge im Jetzt so zu sehen, wie sie wirklich sind.
Es ist die Kunst, Gefühle und Gedanken zu beobachten und sie dabei nicht zu bewerten – sie sind einfach nur Ereignisse, die von Moment zu Moment entstehen und wieder vergehen.
Achtsamkeit …
… ist die ungeteilte Aufmerksamkeit für das Jetzt.
… verstärkt die Wahrnehmung und das Bewusstsein unseres Seins.
… schafft Klarheit für das, was ist.
… schärft unsere Sinne.
… macht es uns leichter, Abstand zu unseren Gefühlen zu gewinnen.
… lässt uns Einsichten darüber gewinnen, was uns ausmacht: Was uns antreibt, wie wir die Welt sehen, was wir denken und wer wir sind.
… gibt uns einen unmittelbareren Zugang in unsere Ängste und Wünsche.
… lehrt uns, weniger zu bewerten und mehr zu beobachten.
… hilft uns, unsere Gedankenspiralen zu durchbrechen und Ruhe zu finden.
… ist objektiv, sie nimmt uns die Interpretationen dessen, was sein könnte.
… vermittelt uns einen tieferen Sinn unseres Seins.
… hilft uns, anders mit Stress, Schmerz und unangenehmen Gefühlen umzugehen.
„Achtsamkeit ist ein aufmerksames Beobachten, ein Gewahrsein, das völlig frei von Motiven oder Wünschen ist, ein Beobachten ohne jegliche Interpretation oder Verzerrung.“
Über Achtsamkeit zu reden, sie zu intellektualisieren und theoretisch verstehen zu wollen, ist eine Sache. Es gibt zahlreiche lesenswerte Bücher, die zeigen, was diese Praxis letztlich ausmacht und warum es sich lohnt, sie regelmäßig zu üben.
Achtsamkeit will erfahren werden
Damit sind wir am entscheidenden Punkt: Wir lernen durch Erfahrung. Wirklich wichtige Dinge im Leben, wie die Liebe, begreifen wir nicht dadurch, dass wir darüber reden. Wir erfassen sie erst, wenn wir sie erfahren. Mit Achtsamkeit ist es ganz genauso.
Wie kannst du Achtsamkeit am besten lernen?
Meine erste Erfahrung war die klassische, formelle Praxis der Meditation, in meinem Fall: Vipassana. Ich bin ein „Wenn, dann richtig“-Typ, für mich war das also perfekt.
Vipassana Meditation
Das ist eine intensive und nicht notwendigerweise für jeden die ideale Form des Einstiegs: 10 Tage schweigen, 10 Tage für 10 Stunden am Tag meditieren, nicht lesen, nicht schreiben. Für mich eine Wohltat, der Geist beruhigt sich schnell, die Meditationstechnik kann sich in den 10 Tagen leicht festigen. Über meine Erfahrung habe ich in diesem Blog-Post schon etwas mehr geschrieben. Diese Vipassana-Kurse in der Tradition lehren insgesamt drei Meditationstechniken: Anapana Meditation, eine Atmen-Meditation, Vipassana, also die möglichst objektive Beobachtung von Empfindungen und Metta, die Meditation liebevoller Güte. Die 10-Tageskurse werden weltweit kostenlos angeboten, Spenden sind erwünscht. Infos über Vipassana Meditationskurse in Deutschland findest du hier.
Mindfulness Based Stress Reduction (MBSR)
Solltest du deinem Alltag nicht für 10 Tage in ein Meditationsretreat entfliehen können oder wollen, könnte ein MBSR-Kurs für dich eine passende Einführung in Achtsamkeitstechniken sein. Diese von Jon Kabat-Zinn ins Leben gerufene Methode kombiniert die Techniken Body Scan, Sitzmeditation und Hatha Yoga und ist dazu da, über 8 Wochen Achtsamkeit zu schulen, Stress zu reduzieren und durch die gelernten Methoden und Prinzipien anders betrachten zu können.
In MBSR-Kursen werden die folgenden sieben Prinzipien der Achtsamkeit gelehrt:
- Wertneutralität / Nicht-Urteilen
- Den Geist des Anfängers bewahren
- Geduld
- Vertrauen
- Akzeptanz
- Nicht-Erzwingen
- Loslassen
Empfehlenswerte MBSR-Kurse Achtsamkeitstage in Berlin, einige werden durch die Bildungsprämie gefördert:
MBSR-Kurse mit Boris Bornemann
Achtsamkeitstage mit Silvia Astfalk im Heilraum Berlin
Anapana Mediatation
Unser Geist springt gern in die Zukunft, um sie sich auszumalen oder wühlt in der Vergangenheit. Um deinen Geist zu schulen, sich mehr in der Gegenwart aufzuhalten, ist Anapana Meditatation, die Konzentration auf deinen Atem, eine einfache und wirkungsvolle Methode. Lade dir hier eine kostenlose Einführung in die Anapana-Meditation ein (englisches Original mit deutscher Übersetzung), wenn du diesen Weg einmal ausprobieren möchtest.
„Die beste Weise, sich um die Zukunft zu kümmern, besteht darin, sich sorgsam der Gegenwart zuzuwenden.“
Achtsamkeit zu üben ist eine lebenslange Aufgabe, die uns in jedem Moment begleitet. Es geht also gar nicht darum, nur auf dem Hintern sitzend besonders achtsam zu sein. Der eigentliche Sinn der formellen Meditations- und Achtsamkeitspraxis ist es, unseren Alltag so achtsam wie möglich zu gestalten – in einer informellen Achtsamkeitsübung.
Achtsamkeit im Alltag
Wann sollten wir denn nun achtsam sein? Wenn wir arbeiten? Wenn wir meditieren? Ich würde sagen: So oft wie möglich. Es geht darum, jeden Moment, auch vermeintlich banale Alltagssituationen, möglichst bewusst erleben. Ein gutes Beispiel ist achtsames Abwaschen, das der Mönch und Achtsamkeitstrainer
„Wenn man abwäscht, sollte man nur abwaschen, das heißt, man sollte sich dabei völlig bewusst sein, dass man abwäscht. Auf den ersten Blick mag das ein wenig albern erscheinen. Warum sollte man solches Gewicht auf eine so einfache Sache legen? Aber das ist genau der Punkt: Die Tatsache, dass ich hier stehe und diese Schalen abwasche, ist eine wunderbare Wirklichkeit. Ich bin völlig ich selbst, folge meinem Atem und bin mir meiner Gegenwart, meiner Gedanken und Handlungen bewusst. Ich kann so unmöglich unbewusst umher geschleudert werden wie eine Flasche, die von den Wellen hin und her geworfen wird. (…)“
„Es gibt zwei Arten, Geschirr zu spülen. Einmal, damit man hinterher sauberes Geschirr hat, und die zweite Art besteht darin, abzuwaschen, um abzuwaschen.“